25. — 27.03.2010

Bensheimer Gespräche 2010

veranstaltet vom Institut für Personengeschichte (Bensheim) in Verbindung mit Ranke-Gesellschaft, Vereinigung für Geschichte im öffentlichen Leben e.V. (Köln). Veranstaltungsort ist der Staatspark Fürstenlager in Bensheim-Auerbach.

»Geheime Eliten ?« ― Teil I

Prof. Dr. Volkhard Huth, Bensheim: Begrüßung ― Einführung in das Tagungsthema

Dr. Matthias Heiduk, Göttingen: Geheime oder imaginierte Elite? Elitärer Habitus und Elitenprojektionen am Beispiel des Templerordens

Dr. Thomas Krüger, Augsburg: Das mittelalterliche Kardinalskolleg zwischen universalkirchlicher Repräsentation und oligarchischer Verschwörung

Dr. Manfred Hollegger, Graz: »Communicieren mit all ding«. Die sogenannte »Hecke« um Kaiser Maximilian I.

Dr. Rita Haub, München: Der Jesuitenorden

Dr. Hermann Schüttler, Erfurt/Gotha: Illuminaten

Dr. Florian Maurice, München: Oktober 1798. Das Alltagsleben einer Berliner Freimaurerloge

Prof. Dr. Eckhart G. Franz, Darmstadt: Freimaurer im Raum Rhein-Main 

Prof. Dr. Hermann Schäfer, Bonn: (Geheime) Eliten in jüngeren deutschen Geschichte ― ein Versuch über die Bekanntheit »Namenloser«

Dr. habil. Gerhard Hoffmann, Leipzig: Geheime Eliten im Islam?

Priv.-Doz. Dr. Andreas Brockmann, Leipzig: Indigene Eliten in Lateinamerika

Mit dem Auftakt der jetzt ›Bensheimer Gespräche‹ im Staatspark Fürstenlager in Bensheim-Auerbach setzte das Institut für Personengeschichte gemeinsam mit der Ranke-Gesellschaft, Vereinigung für Geschichte im öffentlichen Leben e.V., die ›Büdinger Forschungen zur Sozialgeschichte‹ fort, nachdem im Jahr 2009 eine Fortsetzung der Gespräche im Büdinger Schloß nicht mehr möglich war. Mit der Problemstellung »Geheime Eliten ?« konnte das Tagungsthema unmittelbar an die über vierzig Vorgängertagungen zu Führungsschichten anschließen, weitete das Spektrum allerdings bewußt in das Mittelalter und über den europäischen Horizont hinweg aus. Ein zweiter Teil zur Focussierung speziell der »Geheimen Eliten« im 19. und 20. Jahrhundert soll 2011 folgen. Die Organisation der Tagung und die Einführung lagen in den Händen von Volkhard Huth (Bensheim), die Tagungsleitung übernahmen am 26. März Jürgen Elvert (Köln) und am 27. März Matthias Stickler (Würzburg). Das gelungene Ambiente im herrschaftlichen Rahmen des Parks, der starke Zuspruch der Interessierten, die Resonanz in der örtlichen Öffentlichkeit und vor allem die konstruktive, anregende Diskussion unter allen Teilnehmern machten die Tagung zu einem großen Erfolg. Nicht zuletzt die Exkursion nach Worms zur Warmaisa unter der Leitung von Gerold Bönnen (Worms) hinterließ tiefe Eindrücke. Der Wunsch nach Fortsetzung war einhellig.

»Geheime Eliten« stellen wie „offene Geheimnisse“ eine Aporie dar, wie Volkhard Huth (Bensheim) in seiner Einführung programmatisch hervorhob. Die Geheimhaltung dient als Legitimationsanspruch gegenüber der Öffentlichkeit. Es bleibt aber zu fragen, ob das Geheimnis nicht konstitutives Element jeder Herrschaft sei, zentrales Symbol, jeweils anders verknüpft mit Gottes Allmacht und der Öffentlichkeit. Das inszenierte Geheimnis habe stets eine Sphäre des Verschwörerischen. In Anbetracht des Verlustes oder Mangels einer klassischen Metaphysik bildet sich das Selbstbewußtsein des Menschen als neuer Gral (Friedrich Engels). Die Einzeluntersuchungen zum Mittelalter über den Templerorden und über die ‚Hecke’ um Kaiser Maximilian I. sowie die Untersuchungen zu Gruppen außerhalb Europas, den geheimen Eliten im Islam und den indigenen Eliten in Lateinamerika boten bemerkenswerte Vergleichsmöglichkeiten für die Untersuchungen der klassischen ‚Geheimgesellschaften’ im Europa der Neuzeit, den Jesuiten, Freimaurern und Illuminaten.

Matthias Heiduk (Göttingen) stellte als erstes Untersuchungsbeispiel den Templerorden vor. Der Orden war eine militärische Leistungselite. Er war als Grundherr zugleich politische und diplomatische Elite und nicht zuletzt über sein Bankwesen im 13. Jahrhundert eine ökonomische Elite. Insofern zeigt sich der Templerorden als Singularität in der Geschichte der christlichen Ritterorden. Allerdings war nichts am Templerorden geheim. Nach seiner Aufhebung 1312 erfolgte keinerlei Schuldspruch. Alle unter Folter erpreßten Aussagen zu den Vorwürfen der Häresie sind unbrauchbar. Kein einziges Zeugnis bietet Anhaltspunkte für eine geheime Tätigkeit. Und dennoch unterstellte genau dies als zentrales Element die gesamte spätere Rezeption. König Philipp IV. von Frankreich und seine Berater lieferten eine perfekte Propaganda. Die Templer seien elitäre Hüter eines geistigen Erbes gewesen. Ihre diesbezügliche Tradition sei von den Freimaurern als „Ordre du Temple“ aufgegriffen worden. Der Orden wurde gar als Hüter eines elitären, geheimen „Bluterbes“ identifiziert. Heiduk stellte die Rezeptionsgeschichte an Friedrich Nicolai, Adolf Josef Lanz, Bernard-Raymond Fabré-Palaprat, Joseph Freiherr von Hammer-Purgstall und jüngst Pierre Plantard heraus. Für die Geheimen Eliten erkannte Matthias Heiduk die Inszenierung und Kommunikation als zentrale konstitutive Elemente. Die Zugehörigkeit wird durch Symbole geprägt. Als Elite stellen sich diese Gruppen durch Prestigeerzeugung und Prestigesteigerung dar, nicht durch Geheimhaltung, sondern durch mediale Exploration. Die „Entlarvungen“ des Geheimen zogen in den Sog der Faszination, die jeweils vom sogenannten Geheimen ausgeht, und führte entsprechend zu neuen „Ordensgründungen“, deren Kennzeichen die Inszenierungen darstellten. Alle diese Gruppen arbeiten mit alternativen Geschichtsdeutungen. Mysterien machen die Geschichte spannender.

Mit der Beschreibung des Einzugs Papst Eugens III. mitsamt seiner Kardinäle in Trier 1147 durch den Domherrn Balderich von Trier, einer der ersten diesbezüglich wichtigen Quellen, führte Thomas Krüger (Augsburg) in seine Untersuchung über das Kardinalskolleg ein. Zur Begründung für deren Nennung führte Balderich die adlige Herkunft, die höhere Bildung, die Rechtsgelehrsamkeit, ggf. die Zugehörigkeit zur Deutschen Nation, deren Frömmigkeit und rhetorische Gewandtheit an. Der protokollarische Rang der Kardinäle war zu dieser Zeit noch umstritten. Sie waren allerdings nie eine geheime Elite, vielmehr eine speziell öffentlich sichtbare Elite. In der traditionellen Kirchenordnung kamen die Kardinäle nicht vor. Als Leiter der römischen Titularkirchen waren sie die Kleriker im Umfeld der Päpste. 20 Kardinäle hatte Papst Eugen III. neu ernannt, meistens Juristen mit zertifizierter Bildung. Diese Kardinäle entwickelten sich als Männer des päpstlichen Vertrauens und durch ihre häufige Verwandtschaft zur „Konstante des Papstums“ (Wolfgang Reinhard). Als Legaten des Papstes waren sie dessen Repräsentanten in der Gesamtkirche, als Glieder des Leibes. Erst das Konstanzer Konzil legte fest, daß alle Nationen in gleicher Weise berücksichtigt werden sollten, begrenzte den Einfluß der Kardinäle allerdings auf das Interim zwischen den festgelegten Konzilien. 1431 konnten die Kardinäle diese konziliaristische Kirche wieder abschaffen und ihre neue Machtstellung durch eine päpstliche Bulle bestätigen lassen. Geheim sollte zwar der Inhalt ihrer Privilegien bleiben, nicht aber die Tatsache der Privilegierung als solche. Christoph Weber hat dieses frühneuzeitliche Kardinalskollegium als regierenden Männerbund ohne substantielles korporatives Vermögen beschrieben. Dem Kardinalskollegium fehlte das Selbstversammlungsrecht außerhalb der Sedisvakanzen. Und dann hatten die Versammlungen nur einen Zweck: die Papstwahl.

Der Geheime Rat war zu Kaiser Maximilians I. Zeiten noch keine feste Behörde. Manfred Hollegger (Graz), zeigte, wie Maximilian innerhalb seiner Reichsreform neue Behörden entwickelte, um gegen bzw. mit den Reichsständen zu regieren. Zunächst besetzte Maximilian den Hofrat mit Fürsten. Nachdem Maximilian aber das Reichsregiment 1502 aufgelöst hatte, blieben die Fürsten bis auf Eitelfriedrich von Zollern und Wolfgang von Fürstenberg dem Hofrat fern. Die ‚Hecke’ um Maximilian bildeten in dieser Phase der Kabinettssekretär Matthäus Lang, der Tiroler Kanzler und Verwalter der Hofkanzlei Zyprian von Serntein und der ‚Finanzer’ Paul von Liechtenstein, die durch ihren Aufstieg über die Kanzlei über das entscheidende Wissen bezüglich der Macht verfügten. Es war offensichtlich, daß Anliegen an den Herrscher durch die Personen der engsten Umgebung des Kaisers unterstützt werden mußten und es war für jeden Gesandten und Politiker selbstverständlich, festzustellen, wer das Wohlwollen des Fürsten vermittelte. Von einer geheimen Elite kann insofern nicht gesprochen werden. Weil die Fürsten seit 1505 dem Hof demonstrativ fern blieben und auch der Rest-Hofrat sich selten vollständig versammelte, boten sich hier Chancen zum Aufstieg für den niederen Adel, das Bürgertum, die Hausräte, die gelehrten Räte. Es bildete sich eine neue Elite. Bis 1514 trat der Generalschatzmeister Jakob Villinger zur ‚Hecke’ hinzu, Jakob Fugger, Konrad Peutinger, Sigmund von Dietrichstein (Silberkämmerer, Gegner des Paul von Liechtenstein) gehörten zum Kreis der (zweiten) ‚Hecke’. Bis 1520 wurde die diese allerdings in der Regierung durch die Kanzlei abgelöst. Die Bevormundung des Herrschers, die Ausbildung von Unehrlichkeit, ‚Finanzerei’, unehrliche Praktiken, Vetternwirtschaft, Bestechlichkeit, Siegelmißbrauch wurden auch ihr zum Verhängnis.

Als Öffentlichkeitsbeauftragte des Jesuitenordens wollte Rita Haub (München) diesen nicht als geheime Elite verstanden wissen, wohl aber als Elite. Mit ca. 18.500 Mitgliedern sei er der größte katholische Orden. Ohne gemeinsames Chorgebet, ohne Klausur und ohne einheitliche Kleidung stelle er sich ganz in seinen Dienst an der Welt. Zwar nicht urprünglich pädagogisch angelegt, habe der Orden dennoch ausgehend vom Ingolstädter Kolleg umfassend die Bildung zu seiner eigentlichen Aufgabe gemacht. Seine kulturelle Sendung war zu weiten Teilen die Entwicklung vielfältiger Bildungsprogramme. Im 18. Jahrhundert gehörte hierzu neben der Mission sogar ein eigenes Theaterwesen. In der Mission pflegt der Orden die Kunst der Akkomodation zur Entwicklung von Wissen. So sind vor allem die Zweige in Indien, Japan und China, aber auch die Gründung des eigenen Staates in Südamerika zu verstehen. Nach der Aufhebung (1773-1814) und entsprechenden Verboten erlebte der Orden Anfang des 20. Jahrhunderts mit 36.000 Mitgliedern seine größte Ausdehnung, wurde dann in Europa allerdings wieder von den Nationalsozialisten verboten und verfolgt. Nach den Ausführungen von Rita Haub präsentiere sich der Orden heute dialogisch, kontextkulturell und pädagogisch tätig. Zwar sei er vom eigenen Selbstverständnis her keine Elite, wohl aber müssten alle Mitglieder des Ordens zwei Studien vorweisen, würden jedoch meist drei Studien, darunter Theologie und Philosophie, absolvieren. Innerhalb des Ordens bildeten die Patres mit vier Gelübden eine besondere Gruppe.

Die Illuminaten, über die Hermann Schüttler (Erfurt/Gotha), referierte, empfanden sich selbst ebenfalls nicht als Elite, schlossen sich auch nicht als Elite zusammen. Eine Übertragung des soziologischen Elitebegriffs ist daher nicht möglich. In den umfangreichen Texten der Illuminaten waren mehr Absichten als Notwendiges formuliert. Zentrale Forderung von Adam Weishaupt als einem Jesuitenzögling (später allerdings auch einem Gegner der Jesuiten) war die stetige Weiterentwicklung der Mitglieder zu besseren Menschen. Aus dem von Hermann Schüttler untersuchten Quellenbestand von 2500 Briefen (der sog. „Schwedenkiste“ in Gotha) zwischen Mitgliedern des Illuminaten-Ordens ergeben sich manche Chiffrierungen, ritualisierte Formeln, eine wesentlich eigene Art der Kommunikation, die die Ordensleitung vorschlug. Eine Selbstbeschreibung als Elite kommt in den Texten der Illuminaten nicht vor, wohl aber ein steter Wetteifer, bessere Menschen zu werden. Dies sollte durch den Erziehungsprozeß im Orden realisiert werden. Durch die Aufnahme mittels Werbung ergab sich ein geheimer Bund der Besten, eine unsichtbare eigene Welt, die die sichtbare Welt leiten solle. Adam Weishaupt übernahm von den Jesuiten seine „Geheime Weisheitsschule“ als „arkane Akademie“. Allerdings war der Inhalt der Weisheiten Weishaupt selbst eher unklar. Es handelte sich vornehmlich um erkenntnistheoretische Überlegungen und langfristige politische Perspektiven der Abschaffung von Fürsten und Kirche. Vornehmlich wurden 14-15jährige aufgenommen. In Thüringen wurden mehrere Schulen mit der Bildungsidee der Illuminaten geführt. 1784 wurde das Philantropin in Schnepfenthal gegründet. Die Zöglinge stammten aus den Familien der Illuminaten und Freimaurer, aus Europa und Übersee. Damit wurde der Bereich des Arkanen allerdings endgültig verlassen.

Florian Maurice (München) vermittelte mit seinem Vortrag einen Einblick in das Alltagsleben einer Freimaurerloge im Oktober 1789 in Berlin. Die Mitglieder der Loge pflegten ein Bewußtsein der Auserwähltheit durch Tugend und Moral. Sie stellen damit schon Ende des 18. Jahrhunderts jene Gruppe, die dann das 19. Jahrhundert als Leistungselite bestimmte. Ausgehend von der Frage, ob die Freimaurer eine Reserveelite, oder gar wie Koselleck meint, eine Revolutionselite gewesen seien, begreift Maurice das Logenleben als eine Kompensation der mangelnden Teilhabe an politischem und ökonomischem Handeln. Die Freimaurerei speziell bei der Darstellung der Loge Royal York in Berlin 1798 war mit deren repräsentativem Haus und Garten gleichsam das große Hobby des 18. Jahrhunderts. Ignaz Aurelius Fessler, 1756-1839, hatte 1796 in Berlin in der Loge Royal York eine große Reform durchgeführt und vermittelte ein auf Bildungsanstrengung, Selbstverwaltung und Erziehung im Sinne der kantischen Moralität ausgerichtetes Programm, bot aber vor allem gesellschaftliche Veranstaltungen. Zentral blieben die „Constitutionellen Versammlungen“ (vier pro Monat), in denen man im Kleinen ein Parlament spielen konnte, bei dem jeder teilnehmen konnte. Eintracht und Harmonie waren beabsichtigt – Zwietracht, Streit, Kabalen und Intrigen ließen freilich nicht lange auf sich warten. Im großen Streit trat Fessler daher aus der Loge aus und warf den Mitgliedern billigen Konsum und Eskapismus vor. Die Loge bot den meist aus bürgerlichem Milieu stammenden Mitgliedern Raum für ihre aus der Romantik stammenden Ideen und Sehnsüchte der Selbstverwirklichung und der kulturellen Elite. Sie bot damit, wie auch viele andere Unternehmungen, etwa Liebhaber-Theater, einen Freiraum, in dem sich ein Stück modernes Leben in seiner Multiperspektivität entfalten konnte.

Eine Einführung in die Logengeschichte der diesbezüglich vielfältigen Landschaft am Oberrhein und einen umfassenden Überblick über die Quellenlage gewährte Eckhard G. Franz (Darmstadt). Die Quellen, die 2003 zu einem „Darmstädter Inventar“ führten, waren vielfältig überliefert und hatten repräsentative Schicksale. Die Akten der Darmstädter Loge sind schon länger nicht mehr geheim. Die Akten der älteren Logen waren nur zu kleinen Teilen als „Beute-Bestände“ an die „Gegner-Forschung“ des SS-Ahnenerbes gelangt. Von Berlin waren sie nach Schlesien ausgelagert, von der Sowjetarmee erbeutet und nach Moskau bzw. Posen gebracht und 1957 an die damalige DDR restituiert worden. Im Zentralarchiv Merseburg wurden sie sortiert und bilden heute die Bestandsgruppe 5.2. im GStA Berlin. Die Ablieferung des größeren Teils dieser älteren Akten wurde allerdings dank Sabotage verzögert und überstand auch den Bombenangriff auf Darmstadt im Keller des Schlosses in einem Panzerschrank. Zu diesen Akten kommen in Darmstadt die Akten der hessischen Landgrafen und Prinzen, die vielfach Mitglied in Logen waren, in deren Hausarchiv. 1742 wurde die Loge „Zur Einigkeit“ in Frankfurt am Main gegründet und 1743 ein Ableger in Marburg („Zu den drei Löwen“) ins Leben gerufen. 1765 folgte eine Gründung in Mainz („Zu den drei Disteln“), die aber 1767 nach Frankfurt verlegt wurde. In Darmstadt, Offenbach (1760) und Wetzlar (1767, die spätere Direktorialloge „Joseph zum Reichsadler“), Friedberg, Gießen, Biebrich oder Worms (1781) wurden weitere Logen gegründet. In diesen Logen engagierten sich bald der Adel und die Landesherren, allen voran die Landgrafen von Hessen-Darmstadt. In der Distelloge in Wolfgarten und Darmstadt fungierte der Landgraf Ludwig VIII. als Meister vom Stuhl. Auf dem Wilhelmsbader Kongreß im September 1782 kam es zu einer Zusammenfassung aller oberrheinischen Maurereibestrebungen unter der „Hochgrad-Maurerei“ der sogen. „strikten Observanz“. Längerfristig erfolgreich blieb das englische Drei-Grad-System. 1785 wurde Frankfurt am Main zum Zentrum des „Eklektischen Bundes“, dem sich 1816 auch die Darmstädter Loge anschloß. Der Leibarzt des Großherzogs, der geadelte Freiherr von Wedekind, wurde erster Hochmeister. 1838 waren alle Logen der weiteren Umgebung beim Eklektischen Bund versammelt. In den 1840er Jahren gab es Zwistigkeiten wegen der Frage der Aufnahme von Juden. Bis 1860 erfolgten noch weiter Anschlüsse aus dem weiteren Umkreis und die „Große Freimaurerloge zur Eintracht in Darmstadt“, in der später auch Wilhelm Leuschner als Arbeitersekretär Mitglied war, bildete den Landesverband. Als dieser Verband 1890 sein 50jähriges Bestehen feierte, führte er auch den Vorsitz im „Deutschen Großlogen-Bund“. In den 20er Jahren des 20. Jahrhunderts erfolgten zahlreiche Neugründungen neben der Dominanz der Großen Loge zur Eintracht. An die Bedeutung der Freimaurerei im 19. oder gar 18. Jahrhundert vermochten die Neugründungen nach 1945 nicht wieder anzuschließen.

Durch die Beiträge von Gerhard Hoffmann (Leipzig) über geheime Eliten im Islam und Andreas Brockmann (Leipzig) über indigene Eliten in Lateinamerika gelang es der Tagung den vergleichenden Bogen zu außereuropäischen Kulturen zu schlagen. Die eigentliche Frage nach „geheimen Eliten“ wurde durch beide Perspektiven in bemerkenswerter Weise geschärft. Auch islamische Gruppen, so Gerhard Hoffmann, entwickeln sich zu geheimen Eliten durch Zugangsbeschränkungen und Initiationsrituale. Hoffmann stellt das Problem vor, daß die heutigen Spezialisten meist mehr über diese Sondergruppen wüßten, als die Mitglieder seinerzeit und heute selbst. Die Führer dieser Gruppen bestimmen sich zuerst aus der Vererbung von Führungspositionen innerhalb der Familien. Besonders umfassendes religiöses Wissen qualifiziere nur selten zum Führer. Zentrales Element aller Gruppen sei die Taqîya, die „Furcht“ und „Vorsicht“, die Geheimhaltung ihrer religiösen Ansichten in feindlicher Umgebung. Je kleiner die Gruppe, je abstruser die theologischen Positionen, umso ausgeprägter zeigt sich die Taqîya sowohl innerhalb des Islams selbst, als auch in der Außenwirkung. Verfolgungstraumata sind in islamischen Kleingruppen sehr verbreitet. Diese Gruppen existieren meist in sehr abgelegenen Regionen, wo sie militärisch nicht zu disziplinieren sind. Gerhard Hoffmann stellte die Ahl-e Haqq, die Nusairier (Alawiten), die Drusen und die Nizariten in zahllosen Facetten vor. Diese Gruppen bestehen auch in der Gegenwart, unterlagen allerdings zumeist einem grundlegendem Wandel. So entwickelten sich die Nizariten von einer militanten Geheim-Gesellschaft des 11. Jahrhunderts, als noch der Name ihres syrischen Ablegers, der Assassinen, zum schärfsten Ausdruck für einen Mörder in westlichen Sprachen mutierte, zur offenen Religionsgemeinschaft unter Führung des Aga Khans mit einem umfassenden Sozialleistungssystem für seine Mitglieder.

In seiner Darstellung der indigenen Eliten Lateinamerikas in der heutigen Feldforschung beschrieb Andreas Brockmannzunächst Beispiele für die Herrschaftsweitergabe in früherer Zeit in Lateinamerika. Die Schreiber besaßen Herrschaftswissen. Die Ausbildung unterschied grundlegend die priesterliche und die weltliche Laufbahn. Den Fernhändlern kam an den Fürstenhöfen der indigenen Völker entscheidende Bedeutung zu. Weitere Aufstiegsmöglichkeiten bot das Militär. Die Astronomen dienten als Wahrsager. Auch nach der Machtübernahme durch den spanischen Vizekönig erneuert und ernennt dieser die indigenen Würdenträger. In einem zweiten Teil schilderte Andreas Brockmann beispielhaft die heutige Gemeinde Santa Martha in Mexiko, in der ausschließlich Indigene leben. Hier vollzieht sich die Auswahl und die Verpflichtung der Elite unfreiwillig, insbesondere wegen der Kosten für die Amtsführung. Außenrepräsentation der Führungspersonen und innere Gliederung differieren stark. Nach außen demonstriert nur der Amtsstab den „Bürgermeister“. Jeder Mann als Mitglied des Stammes durchläuft theoretisch alle Ämter, aber nur wenige kommen auf der Amtsleiter oben an. Meist bleiben die Karrieristen „Bürgermeister“, weil sie dann abgabenfrei sind. Die abgabenfreien Stammesmitglieder sind die eigentliche Elite. Die Ämter sind Verdienstämter mit großem materiellen Aufwand. Hier müssen die Männer große Verschwendungsfeste organisieren, in denen Reichtum vernichtet wird. Ein Ältestenrat mit Sprecher (einem lebenslänglichen Amt) steuert das System. Der Sprecher tritt nach Außen nie in Erscheinung und nur bei Streit als Schlichter in Aktion. Das Absolvieren der Laufbahn ist Pflicht. Die Ämter wechseln am 31. Januar. Die neuen Amtsinhaber werden gefesselt vor das Rathaus gebracht und sind nach einer Übergabewoche für ein Jahr im Amt. Nicht der Verdienst, sondern die Berufungen bilden das Selektionsprinzip. Weitere Personen mit besonderen Funktionen wie Heiler, Repräsentanten der Gottheiten, Beter bilden keine Elite im europäischen Wortsinn.

In seinem öffentlichen Abendvortrag warf Hermann Schäfer (Bonn), einen vielfachen Blick auf die geheimen Eliten der jüngeren deutschen Geschichte. Einerseits setzte er das ‚geheim’ in Klammern, anderseits ergänzte er durch den Untertitel: ‚ein Versuch über die Bekanntheit »Namenloser«’. Vier politische Systeme wechselten sich in Deutschland im 20. Jahrhundert ab, und jeweils wurde die vorangehende Elite zwar einerseits verantwortlich gemacht und an den Pranger gestellt, doch mußte man andererseits stets auf sie zurückgreifen. Erst in den 90er Jahren des 20. Jahrhunderts wurden in Deutschland wieder Eliten breiter untersucht. Dabei blieb die größte Schwierigkeit die Abgrenzung zu „Nicht-Eliten“. Sind Eliten möglicherweise nur selbststilisierte Gruppen, Erscheinungsformen oder nur die 400 bedeutendsten Personen einer „Positionselite“? Nacheinander untersuchte Hermann Schäfer einzelne Gruppen genauer: die Geheimdienste, die Gegenelite des Widerstandes gegen die Nationalsozialisten, die deutschen Wissenschaftler, die die Militärtechnik 1945 nach Amerika brachten, die englischen Entschlüsselungsspezialisten von Bletchley-Park, Migranten im Zielland, die Elite der Wendehälse, die Hacker, Generalstabsoffiziere, Ghostwriter und Querdenker. Zwar ist nicht jeder Spinner ein Querdenker, aber diese sind im ursprünglichen Sinn beispielsweise eine ‚geheime Elite’. In gleicher Weise sind auch jene, die am Rande und jenseits des Mainstreams stehen, eine geheime Elite. Bis heute sind auch Eliten von Frauen geheime Eliten, insofern Eliten i.d.R. stets männlich definiert wurden. Ein englisches Sprichwort besagt „hinter jedem bedeutenden Mann stand und steht meist eine starke Frau“. Fragt man danach, wer die Entscheidungsprozesse lenkt, erkennt man nach Hermann Schäfer zunehmend Entscheidungen, die durch Expertisen und Mitzeichnende ergänzt oder überhaupt erst ermöglicht werden. Entscheidungen werden zunehmend durch „outsourcing“ verlagert. Einzelpersonen als Entscheidungsträger können nicht mehr identifiziert werden. Parallel nimmt die Bürokratie zu und die Kosten steigen. Eliten im eigentlichen Sinn als gesellschaftlich prägende Kräfte gibt es kaum mehr, weil Einflußträger heute ohne Namen und Ansehen bleiben wollen, sollen bzw. müssen. Eliten sind nicht mehr persönlich identifizierbar, wenn jeder einmal 15 Minuten berühmt sein will (Andy Warhol). Theodor W. Adorno sprach schon 1963 von der „Vulgarisierung des Elitenbegriffs“. Und selbst wenn man Elite ist, glaubt man heute, man dürfe niemals als solche erkannt werden. Hermann Schäfer vermutete, Elite sei und bleibe man heute umso mehr, je geheimer man sei. Den Geheimen Eliten gehöre ergo die Zukunft.

Damit gab er für den zweiten Teil der Tagung 2011, der sich nochmals gezielt dem 19. und 20. Jahrhundert zuwenden soll, reichlich Anregung. Die Publikation der Tagungsbeiträge wird zusammen mit den Beiträgen des zweiten Teils des Themas in der Reihe der Büdinger Forschungen zur Sozialgeschichte erfolgen.

Lupold v. Lehsten
Institut für Personengeschichte (Bensheim)